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Risiko - die unerschöpfliche Quelle,
um dank unserer Zerbrechlichkeit über uns hinaus zu wachsen.
Alberto Giacometti:
“Ein vollendetes Kunst-
werk ist eine Niederlage”
Je grösser das Risiko,
desto grösser die Faszination
Gegen den Besseren und
Überlegenen zu gewinnen
ist das schönste Spiel.
3. Schweiz gewinnt gegen
Spanien an der WM 2012
Risiko
1. adventurerocket.com
2. Nofretete, Gattin von Echnaton 3. welt.de
Erfahrenes Risiko ist ein wesentlicher Bestandteil
der Lebensintensität,
etwa in einer grossen Überraschung oder
bei hoffnungslosem Verirrtsein.
Das ist ein Grund, warum Wettbewerbe so spannend sind:
jeder risikiert, dass ein Anderer besser sein kann.
1. Basejumper
2. Unerreichbare Schönheit
Risiko - faszinierend,
gefährlich und . . .
eine unerhörte Chance
Geläufiger Weise gilt der Tod als der
grösste Risikofall des Lebens. Sterben
sei nicht erwünscht, da es alle Chancen
der Entwicklung nehme. Wenn wir den
Risikofall jedoch als Tor zu höherer Le-
bendigkeit sehen, wird der das Gross-
risiko “sterben” zum grössten Modifikator
von Lebendigkeit und Intensität über-
haupt. Unsere westliche weltliche und
spiriutelle Tradition sieht das Sterben als
Begrenztheit und als Strafe an. Das wah-
re Leben besteht in diesem Menschenbild
in der Unsterblichkeit. Sterblichkeit ist ein
Nachteil.
“Was unsterblich, kann nicht sterblich,
Was sterblich, nicht unsterblich sein,
Kein Ding kann anders sein jemals,
Als es seiner Natur nach ist”
(Mandukya-Upanishade)
> vgl. memento mori - “gedenke, dss Du
sterblich bist” des Mittelalters.
Memento mori
“Memento mori”, gedenke, dass Du sterblich bist” war im Mittelalter ein
Apell, sich auf das Wahre Leben nach dem Tode vorzubereiten.
Der Mahnspruch und Leitsatz “memento kommt im 8. und 9. Jhd auf.
Damals war das religiöse Leben ziemlich unbedeutend geworden Im
Hochmittelalter (1050 - 1350) entstand eine grosse spirituelle
Erneuerungsbewegung(Klöster von Cluni, Mystiker, Hildegard von
Bingen, Gotik, grosse Philosophen).
Der Satz “memento mori” war gegen die Hybris jener Menschen
gerichtet, gerichtet, die sich so verhielten, als wären sie die Herren des
Lebens Der Appel war verbunden mit neuen Formen von Frömmigkeit
und Selbstaskese. Die göttliche Komödie von Dante Alighieri
(1265–1321) stellte die Verfehlungen bildlich dar, indem die “Bösewichte”
nach dem Tode in verschiedene Kreise der Hölle geschickt wurden.
Das spirituelle Ziel des Fokus auf die Sterblichkeit lag darin, sich für die
Welt NACH dem Tode zu qualifizieren.
Vorgeschichte und Nachhall
Der Merksatz “memento mori”, bedenke, sterblich zu sein”, “bedenke, zu
sterben” hat im Psalm 90, Vers 12 eine Vorlage: „Lehre uns bedenken,
dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden“. Eine andere Version
ist: “Memento mortis” „gedenke des Todes”. Dass diese Tödlichkeit jeden
Augenblick der Fall ist zeigt der Satz: “Media vita in morte sumus (mitten
im Leben sind wir vom Tode umgeben. Der Satz wird auch formuliert als
“Memento moriendum esse!“. Auf deutsch etwa: „Bedenke, dass du
sterben musst/sterblich bist!“, oder “erinnere Dich, dass es die zentrale
(grosse) Aufgabe ist, zu sterben.” Unter dem Einfluss der dynamischen
Praxis von Don Juan Matus wäre dieser Satz zu deuten als: “Mitten im
Tode liegt die grösste Dynamik des Lebens. Der Tod versetzt Dich direkt
in Verbindung mit deiner Eigentlichkeit”.
Rainer Maria Rilke sieht eher traurige Aspekte in dieser Mittigkeit:
“Wenn wir uns mitten
im Leben meinen,
wagt er zu weinen
mitten in uns".
Die Sicherheit in der Sterblichkeit
Der Satz “mors certa hora incerta” - “Der Tod ist gewiss, seine Stunde
ungewiss”, findet sich auf der Rathausuhr in Leipzig (um 1900).
Die Risiko-Nutzung im Sinne von Don Juan Matus geht anders mit dem Fokus
auf die Sterblichkeit um:
“Setze auf diese Gewissheit, und bedenke es zu JEDER Stunde. Bedenken
ist eine gute Voraussetzung, und ein Krieger geht weiter: Er handelt so, dass
jedes Detail, jedes zusammenwirken JETZT ganz passt. Er verfolgt ständig
den Weg der Makellosigkeit.”
Unsterbliche brauchen nicht zu zweifeln und brauchen sich an nichts weiter
bewusst zu werden, als was sie schon haben. Sie haben alle zeit, alle
Möglichkeiten. Ob sie sterben werden, spielt keine Rolle. Jetzt aber verhalten
sie sich wie Unsterblichkeit. Das Sterbliche “ist nachher”. Wer aber die
Gewissheit des Sterbens bemerkt, und dies sich nicht in klaren, eindeutigen,
allparteilichen Taten umsetzt, sit auf dem Weg der Verzweiflung.
Soeren Kierkgaard sagt: Verzweiflung ist “die Krankheit zum Tode” und ihre
Qual liegt darin, sterben zu wollen und nicht sterben zu können.
Die Mandukya-Upanishad des Atharvaveda, 3.Teil (genannt Advaitam,
„die Zweiheitlosigkeit“), 21. Übersetzung von Paul Dessen, zit in:
http://www.yoga-vidya.de/Yoga--Buch/Upanischaden/Aitareya2.htm.
Der Text dieser Upanischade ist ein Hymnus, der sich vor allem auf die
Erfahrung des Non-Dualismus bezieht. Dabei wird Nicht-Zweiheitlichkeit
als eine Art ontologischer Zustand gefasst:
Was Sterblich ist kann nicht unsterblich sein. Deshalb ist
entweder Sterblichkeit Schein oder die Unsterblichkeit. Diese Deutung
besingt das Lob der Unsterblichkeit, arbeitet aber nicht mit der
gewaltigen Kraft der Sterblichkeit und riskiert dadurch, einseitig zu sein:
“Was unsterblich, kann nicht sterblich,
Was sterblich, nicht unsterblich sein,
Kein Ding kann anders sein jemals,
Als es seiner Natur nach ist”. (3,21)
Rathausuhr
Leipzig:
Der Tod ist gewiss,
ungewiss die Stunde.
Weitere Überlegungen zu:
> In der Sterblichkeit leben, heisst jede
Handlung zählt.
> der Tod ist kein Feind, sondern die
grösste Herausforderung.
> Tödlich leben, heisst jenseits von Zweifel,
und Reue die volle Verantwortung
übernehmen
> Sterblich sein heisst makellos sein,
jenseits von Verwirrung und Angst.
> Bushidô = der Weg des Samurai: jeden
morgen und jeden Abend sich auf den Tod
vorbereiten und ihn jeden Augenblick
erwarten.
● Sterblichkeit leben, heisst jede Handlung, jedes Detail zählt.
“Don Juan war meiner Meinung nach ein Mensch, der sein Leben in jeder
Hinsicht mit professioneller Effizienz führte, was heißt, jede seiner Handlungen
zählte, ganz gleich, wie unbedeutend sie auch sein mochte. Ich war dagegen
von Menschen umgeben, die sich für unsterbliche Wesen hielten, die sich auf
Schritt und Tritt selbst widersprachen und deren Handeln sich nie erklären ließ.
Es war ein unfaires Spiel. Alles sprach gegen die Menschen, denen ich
begegnete. Ich war an Don Juans gleichbleibendes Verhalten gewöhnt, an das
Fehlen jeglicher Überheblichkeit und an den unermeßlich weiten Horizont
seines Verstandes. Dagegen war sehr wenigen Menschen, die ich kannte,
auch nur bewusst, daß es ein anderes Verhaltensmuster gab, das so
erstrebenswerte Eigenschaften förderte. Die meisten kannten nur die
Möglichkeit der Selbstreflexion, die Menschen im Grunde schwach macht und
in ihrem Wesen verbiegt.”
Castaneda, Carlos (2000): Das Wirken der Unendlichkeit.
Fischer, Frankfurt a. Main, S. 259
● Alltägliche Haltung: Nicht daran denken, soll vor Tod schützen. Diese
Haltung lebt nach der Devise der Unsterblichkeit. Sie nutzt die Kraft,
welche in der der Sterblichkeit liegt, nicht. Castaneda lässt Don Juan
Matus zum Worte kommen:
»Die Vorstellung des Todes ist darum von unermeßlicher Bedeutung im Leben
eines Zauberers«, fuhr Don Juan fort. »Ich habe dir unendlich viel über den
Tod erzählt, um dich zu überzeugen, dass die Kenntnis von unserem
drohenden und unvermeidlichen Ende uns Besonnenheit gibt. Unser
kostspieligster Fehler als normale Menschen ist, daß wir uns einem
Gefühl der Unsterblichkeit hingeben. Es ist, als könnten wir uns vor dem
Tod schützen, indem wir nicht an ihn denken.«
»Du mußt doch zugeben, Don Juan, daß das Nichtdenken an den Tod uns
gewiß davor bewahrt, uns seinetwegen Sorgen zu machen.«
»Ja, diesen Zweck erfüllt es«, räumte Don Juan ein. »Aber solch ein
Zweck ist schon eines Durchschnittsmenschen unwürdig - für einen
Zauberer ist er ein Hohn. Ohne eine klare Vorstellung vom Tod gibt es
keine Ordnung, keine Besonnenheit, keine Schönheit.
Die Zauberer streben nach dieser Einsicht, die ihnen mit tiefster /113/
Klarheit zu erkennen helfen soll, daß sie keinerlei Gewißheit haben, ob ihr
Leben über den Augenblick hinaus andauern wird.
Diese Erkenntnis gibt Zauberern den Mut, geduldig zu sein und dennoch
zu handeln; den Mut, sich in ihr Schicksal zu fügen, ohne deshalb dumm
zu sein.«
Castaneda, Carlos (2001): Die Kraft der Stille. Neue Lehren des
Don Juan, Fischer, Frankfurt a. Main, S. 112f.)
● Der Tod ist kein Feind, er ist die grösste Herausforderung.
“Würdest du sagen, Don Juan, daß der Tod der einzige wirkliche Feind ist,
den wir haben?« fragte ich ihn kurz darauf. »Nein«, sagte er mit Überzeu-
gung. »Der Tod ist kein Feind, auch wenn er es zu sein scheint. Der Tod ist
nicht unser Zerstörer, auch wenn wir dies glauben.« /114/ »Was ist er denn,
wenn nicht unser Zerstörer?« fragte ich.
»Die Zauberer sagen, der Tod ist der einzige würdige Gegner, den wir
haben«, antwortete er. »Der Tod ist unser Herausforderer. Um seine
Herausforderung anzunehmen, sind wir geboren - ob Durchschnitts-
menschen oder Zauberer. Die Zauberer wissen davon; die Duchschnitts-
menschen nicht.«
»Ich selbst würde sagen, Don Juan, daß das Leben, und nicht der Tod, die
Herausforderung ist.«
»Das Leben ist der Prozeß, mittels dessen der Tod uns herausfordert«,
sagte er. »Der Tod ist die aktive Kraft. Das Leben ist die Arena. Und in
dieser Arena stehen immer nur zwei Kämpfer zur gleichen Zeit; man selbst
und der Tod.«
»Ich würde meinen, Don Juan, daß wir Menschen die Herausforderer sind«,
sagte ich.
»Ganz und gar nicht«, erwiderte er. »Wir sind passiv. Denk einmal darüber
nach. Wenn wir uns bewegen, dann nur, weil wir den Zwang des Todes
fühlen. Der Tod bestimmt das Tempo unserer Handlungen und Gefühle, er
stößt uns erbarmungslos weiter, bis er uns zerbricht und den Kampf
gewinnt, oder aber, wir erheben uns über alle Möglichkeiten und besiegen
den Tod. Die Zauberer besiegen den Tod, und der Tod erkennt die
Niederlage an, indem er die Zauberer freigibt, um sie nie wieder
herauszufordern.«
»Das bedeutet, daß die Zauberer unsterblich werden?«
»Nein, das bedeutet es nicht«, erwiderte er. »Der Tod hört auf, sie
herauszufordern, das ist alles.«
»Doch was bedeutet das, Don Juan?« fragte ich.
»Es bedeutet, daß das Denken einen Salto ins Unvorstellbare geschlagen
hat«, sagte er.”
Castaneda, Carlos (2001): Die Kraft der Stille. Neue Lehren des Don
Juan, Fischer, Frankfurt a. Main, S. 114f.)
● Tödlich leben heisst, jenseits von Zweifel und Reue volle
Verantwortung übernehmen. Es geht darum, faktische
Entscheidungen zu treffen und sie total umzusetzen.
»Sieh mich an«, sagte er. »Ich kenne weder Zweifel noch Reue. Alles,
was ich tu, ist meine Entscheidung und meine Verantwortung. Die
einfachste Sache, die ich tu, zum Beispiel dich in die Wüste mitnehmen,
könnte sehr wohl meinen Tod bedeuten. Der Tod wartet auf mich.
Darum habe ich keinen Platz für Zweifel oder Reue. Wenn ich als Folge
dessen, daß ich dich mitnehme, sterben muß, dann muß ich eben
sterben. Du hingegen glaubst, daß du unsterblich bist, und die
Entscheidung eines Unsterblichen können bereut oder bezweifelt oder
rückgängig gemacht werden. In einer Welt, wo der Tod der Jäger ist,
mein Freund, da ist keine Zeit für Reue oder Zweifel. Da ist nur Zeit für
Entscheidungen.«
Ich entgegnete ganz aufrichtig, meiner Meinung nach sei das eine
irreale Welt, denn sie entstehe willkürlich, indem man ein idealisiertes
Verhalten vorschreibe und behaupte, so und nicht anders müsse man
vorgehen.”
Castaneda, Carlos (1976): Reise nach Ixtlan. Die Lehre des Don
Juan. Fischer, Frankfurt a. Main, S.51.
● Unsterblich sein = Zeit verschwenden. Sterblich sein heisst makellos
werden, jenseits von Zweifel, Verwirrung und Angst.
»Deine Vernunft sagt dir schon wieder, daß du unsterblich bist«, sagte er.
»Was meinst du damit, Don Juan?« »Ein unsterbliches Wesen hat alle Zeit auf
Erden für Zweifel und Verwirrung und Angst. Ein Krieger hingegen kann sich
nicht an die nach der Ordnung des Tonal getroffenen Sinngebungen
klammern, denn er weiß gewiß, daß der Ganzheit seines Selbst nur kurze Zeit
auf Erden beschieden ist.« Ich erhob einen ernsthaften Einwand. Meine
Zweifel und Ängste und meine Verwirrung fanden nämlich nicht auf bewußter
Ebene statt, und wie sehr ich auch versuchte, sie zu kontrollieren -jedesmal
wenn ich es mit Don Juan und Don Genaro zu tun hatte, kam ich mir hilflos
vor.”
Carlos, Castaneda (1976): Der Ring der Kraft. Don Juan in den
Städten. Fischer, Frankfurt a. Main. S. 216
● Das Dao De Jing weist in dieselbe Richtung
“Ich habe dadurch grosse Sorgen, dass ich eigennützig handle. Erreicht ich
Selbstlosigkeit, welche Sorgen hätte ich noch?”
Dao De Jing (nach Hilmar Klaus), 13.12-15
● In anderer Art, aber in der selben Ausrichtung geht der Weg des Samurai:
Nicht einfach leben zu wollen wie die Praktiker der Unsterblichkeit es su-
chen, sondern in jedem Moment für den Tod bereit sein, ist das Leitmotiv.
“Ich habe herausgefunden: Bushidô, der Weg des Kriegers, liegt im Sterben. Wird
man mit zwei Alternativen konfrontiert, Leben und Tod, so soll man ohne Zögern
den Tod wählen. Daran ist nichts Schweres; man muß nur fest entschlossen sein
Ziel verfolgen.
Wenn einige behaupten: »Ein Tod, ohne seine Bestimmung erlangt zu
haben, ist ein sinnloser Tod«, so ist das die berechnende Art zu denken, die dem
eitlen, verstädterten Bushidô entspringt. [...]
Solange jemand umgekehrt den Tod wählt, ohne sein Ziel erreicht zu
haben, ist sein Tod frei von Schande, auch wenn andere ihn sinnlos oder
wahnsinnig nennen mögen. Das ist die Essenz des Bushidö. Wenn jemand
jeden Morgen und Abend sich auf den Tod vorbereitet und ihn jeden Augenblick
erwartet, wird Bushidö zu seinem eigenen Weg, wodurch er seinem Fürsten
sein ganzes Leben lang fehlerlos dienen kann.”
Yamamoto, Tsunetomo (2003): Hagakure. Der Weg des Samurai.
Pieper, München-Zürich, S. 11
Wermit der Kraft der Transformation
arbeitet, die im Risiko steckt, sieht dies
nicht den Schadensfall als
Hauptmerkmal des Risko. Er weiss: der
grösste Risikofall birgt das grösste
Potential zum Wandel.
Wir Menschen sind sterblich,
verhalten uns aber als wären wir
unsterblich. Die Folge ist falsches
Bewusstsein. Carlos Castaneda erzählt
von seinem toltekischen Lehrer Don
Juan Matus:
»Sag mir, Don Juan, was ist ein
Lebewesen, das sterben wird, eigentlich?
Du hast schon so oft darüber gespro-
chen, aber du hast mir nie eine richtige
Definition gegeben.« - »Menschen sind
Lebewesen, die sterben«, antwortete er.
»Die Zauberer sind überzeugt, die ein-
zige Möglichkeit, unsere Welt zu verste-
hen, und das, was wir hier tun, besteht
darin, voll und ganz zu akzeptieren, daß
wir Wesen sind, die sterben werden.
Ohne diese grundsätzliche Akzeptanz ist
unser Leben, unser Tun und unsere
Welt, in der wir leben, nicht zu be-
wältigen.« [...] »Doch die Akzeptanz al-
lein genügt nicht. Wir müssen diese Ak-
zeptanz verkörpern und bis ans Ende le-
ben. Die Zauberer aller Zeiten haben
gesagt, der Anblick unseres Todes ist der
ernüchterndste Anblick, den es gibt.
Der Fehler an uns Menschen ist
und ist es seit urdenklichen Zeiten gewe-
sen, daß wir glauben, wir befänden uns
im Reich der Unsterblichkeit, ohne das
deutlich zu sagen. Wir verhalten uns, als
würden wir niemals sterben. Das ist eine
infantile Anmaßung. Aber noch verderb-
licher als das Gefühl der Unsterblichkeit
ist das, was sich damit einstellt. Es ist
das Gefühl, daß wir dieses
unvorstellbare Universum mit unserem
Bewusstsein erfassen können.«
Castaneda, Carlos (2000): Das Wirken
der Unendlichkeit. Fischer, Frankfurt a.
Main (S156 f).
Sterben wird in der Sicht des existentialen und
ressourciven Risiko, die den Flow als Basis hat, zu
einem Grossereignis der (Selbst)Liebe. Es wird eine
Selbstzeugung aus dem Sein ins Nichts und aus der
Ohnmacht zu einer ultramächtigen Sanftheit. Das ist
das Geheimnis des existentialen Risikos, dass es für
das Leben ein Ultrafall ist, d.h. aus der Fertigkeit
besteht, jeden Fall über seinen eigenen Fall
hinauswachsen zu lassen. Bei Soren Kierkegaard ist
die Verzweiflung eine “Krankheit zum Tode”, weil sie
ständig sterben möchte und nicht kann. In der ressour-
civen Perspektive wird das Risiko “Das nie endende
Sterben zur Lebendigkeit”, wo das Sterben ständig
neue Lebendigkeit hervorbringt. Der Mensch ist ein
Spezialfall von Unsterblichkeit. Genauer gesagt ein
ein Ultrafall der Sterblichkeit, falls er die ungeheure
Kraft, die sich im Angesicht des Todes vorfindet, nutzt.
Vitalität ist aus sich heraus ultra-anfällig. Vitalität ist
unerschöpfliche Lebenslust. Es ist diese Lebenslust, welche
das Leben über sich hinauswachsen lässt. Wir selbst sind als
Individuen auch ultra-anfällig. Unsere Identität beziehen wir ja
aus dem Risiko des Andern (“Die Hölle, das sind die Anderen”
J.-P. Sartre). Das ursprüngliche Existenzrisiko ist der Grund für
Kreativität, für Streben nach grossen Idealen, für
unbeschränkte Opferbereitschaft und für die Praxis des
Gebens-aus-Grosszügigkeit.
Der Mensch ist kein Wesen, das vor dem Sterben gefeit
ist. Darin ist er gleich wie alle anderen sterbliche
Kreaturen. Er hat aber eine grosse Besonderheit. Er kann
als Sterblicher an der eigenen Unsterblichkeit mitwirken,
und zwar gerade wegen der Sterblichkeit. Zerbrechlichkeit
ist die Basis dieser seiner Existenz. Die Zeugung ist reine
Ultra-Anfälligkeit. Die Zeugung aus Liebe und dem Nichts
hilft, dass der Mensch, der ja in einer zeitlichen Welt lebt,
unsterblich wird, indem er nächste Generationen als
Risiko entstehen lässt. Diese generative Fähigkeit hat er
nicht, weil er Mensch, sondern weil er Zugang zur
Lebendigkeit selbst hat UND weil er sterblich ist UND weil
er dazu berufen ist, über sich selbst UND seine
Begrenztheit hinauszuwachsen.
Siehe die Texte rechts:
Flow-Praxis ist ein Vorgehen, das die Kraft, die im Risikofall
und in der Sterblichkeit-selbst liegt erkennt, und sie für den
konkreten Alltag in Kommunikation und Führung, in
Beziehung und Erziehung und für die Selbsttransformation
nutzbar macht.
Wenn wir sagen: der Mensch sei ein Spezialfall von
Unsterblichkeit, so heisst dies genauer: er ist ein Ultrafall
der Sterblichkeit. Bedingung: Er nutzt in makelloser Weise
und hoch präzise die Wucht der Sterblichkeit des Lebens
und setzt sie als Transformator des eigenen Ich und des
Bewusstseins ein. Das ist eine der Grossleistungen jener
Praktiken, die sich auf die direkte Erfahrung der vitalen
Energieformen stützen.
Das grosse Spiel des Lebens braucht die existentialen
Gross-Risiken. Das ergibt eine Sicht, die in der Lage ist,
“jenseits des Horizonts” zu blicken:
•
Das Spiel mit dem Risiko,
•
die Rebellion gegen das Feste wie gegen das
Chaotische,
•
die unbremsbare Sehnsucht nach Entfaltung,
•
das “Recht auf Fehler”, und auch
•
die paradoxe Notwendigkeit, welche darin besteht,
die Nähe aus der Distanz, und die Distanz aus der
Nähe zu schaffen,
dies alles sind Grossrisiken der Erziehung und Bildung,
der Führung und Kommunikation. Flow-Praxis nutzt die
grosse Kraft der Ultra-Anfälligkeit. Der Eintritt von Risi-
ken sind für die Flow-Praxis letztlich keine Schadensfälle,
sondern unerschöpfliche Ressourcen von lebendigen
Reichtum - die Basis für alle Generationen.
Im aktiven Einbezug der vitalen Risiken trifft die Flow-Praxis
auf grosse Vorläufer, wie
•
auf den Buddhismus, der in der vitalen Leere die
grösste transformative Kraft sieht, oder
•
auf den Daoismus, der das Handeln-durch-Nicht-
handeln als Basis der Unbesiegbarkeit erkennt,
•
und auf die toltekische Praxis, in Dunkelheit und
Stille die ungelösten Lebensthemen zu rekapitulieren
und zu integrieren, und auch die Kraft der Sterb-
lichkeit nutzen, um Transformation der Identität in die
Wege zu leiten. Die Toltekische Tradition der “neuen
Seher” nutzen dabei auch das zweite Erkennt-
nissystem, das jenseits der Wahrnehmung liegt, darin
beruht, eine direkte Begegnung mit dem vitalen
Energielinien - “leuchtende Fasern” genannt -,
herzustellen.
Für uns moderne Westler sind dies sehr seltsame Prinzi-
pien, die aber dank zuvorkommender Pfiffigkeit und mittels
der Flow-Praktiken auch bei uns sanfte aber hoch-effiziente
Wirkungen zeigen.
Wir leben in einer anfälligen Welt, wo ständig das Risiko
besteht, dass etwas schief geht, nicht funktioniert, zu
Schaden kommt oder das krank wird und stirbt.
In der traditionellen Sicht wird der Eintritt des Risikos als
Schadensfall gewertet.
In der ressourciven Sicht der Lebendigkeit hat das Risiko
aber eine positive, förderliche und kreative Kraft. Ein
Abenteuer ist gerade deswegen ein Abenteuer, weil alles
schief gehen kann. Sich einem Tyrannen zu widersetzen
ist so attraktiv, weil er unbesiegbar ist (oder sich dafür
hält), und weil das Sterben-für-die-Freiheit und die Nach-
kommen selbst ein höherer Wert ist, als der Verlust des
Lebens.
Diese positive Eigenschaft des Risikos nennen wir “Ultra-
Anfälligkeit”, auf Deutsch “Über-Fall”. Das ist jene
Dynamik, die über jeden Fall hinausgeht und über-die-
Grenzen-hinaus führt. Der Statistiker Nassim Taleb spricht
von “Antifragilität”. Das Eintreten eines über-fälligen Risi-
kos ist ein “Ultrafall”. Er führt entweder zu einem grossen
Verlust oder aber zu einem Gewinn, der das Gewohnte
übersteigt. Dann entsteht der Über-Fall.
“Sich verlieben”, “die nächste Generation zeugen” und
“sterben” sind die drei am meisten faszinierenden
Überfälle. Der Überfall ist das existentiale Risiko, das aus
seiner inneren vitalen Kraft heraus die Sterblichkeit dazu
bringt, über die Sterblichkeit hinauszuwachsen.
Nassim Nicholas Taleb (2012): Antifragile: Things That Gain from
Disorder. Random House.
N. Taleb nimmt die konkrete, objektive Erfahrung ernst und zeigt, wie die
Theoretiker, Wissenschaftler und Experten leicht und in grossem Massstab in
die schädliche Irre gehen, wenn sie sich an die abstrakten Formeln und an
die innere Kohärenz der Theorien halten, und dabei die Fakten nur als eine
Art Anhängsel der kohärenten Logik betrachten.
Wahrscheinlichkeiten von Risiken kann man berechnen. Das tatsächliche
Eintreten des Risikofalls aber nicht.
Praktiker, die auf ihre eigene existentiale Erfahrung achten, wissen, dass wir
Menschen in der Praxis über viel mehr Erkenntnis verfügen, als alle
Theorien je wissen können.
Die Ökonomen, Finanzexperten und theoretischen und Labor-
Wissenschaftler vertrauen darauf, dass eine korrekte theoretisch-logische
Konstruktion auch das faktische Auftreten der Tatsachen in den Griff be-
kommt. Das ist aber ein Fehler. (s. auch sein früheres Buch: “Der Schwarze
Schwan”).
Hier erreichen die Experten nicht mal die Wirklichkeitsnähe der Ethiker und
Moralphilosophen. Diese wissen, dass auch eine korrekte logische
Konstruktion einer Theorie über die gute Wirklichkeit noch nicht bewirkt, dass
diese Wirklichkeit auch eintritt oder dass sie in guter Weise eintritt. Deshalb
statten sie ihr angewandtes Wissen mit Empfehlungen aus und appellieren an
das Sollen.
Die statistischen Experten hingegen geben ihren Formeln nicht mal diese
Sollens-Empfehlung mit, denn dann müssten sie sagen. “Unsere Theorien
sollten in der Wirklichkeit so und so auftreten. Aber ob oder wann sie dies tun,
das wissen wir nicht. Seien Sie, lieber Anwender, also selbst verantwortlich
für das Auftreten” (N. Taleb).
J. Gasser sieht Parallelen im Bereich von Führung und Erziehung.
Die Pädagogen, Erzieher und Führungspersonen versuchen diese Kluft
zwischen theoretischen Vorgaben und praktischer Verwirklichung zu
überbrücken mit einer Mischung aus Appellen und Empfehlungen sowie mit
Motivation, Strafen und Belohnungen.
Indem die Flow-Praktiker auch die vital-existentialen Erfahrungen wecken,
wenn Grundsätze oder Empfehlungen umgesetzt werden sollen, verfügen sie
über Mittel zur Umsetzung, die eine sehr viel stärkere Wirkung haben, als
Befehle, Belohnung und Strafe. Motivation nämlich wirkt schwächer, als wenn
die Faszination des Geistes geweckt wird.
Flow-Praktiker sind sich der grossen Kraft der Risiken bewusst und nutzen
diese in progressiver Weise. In subtiler Weise trotzen Sie der Gefahr von
Verlust und Schaden. Ihr Trotz besteht nicht aus Widerstand, sondern in
Sanftheit.
Nehmen wir uns doch die unerhörte Kraft des Risikos zu
Herzen. Erziehen wir den heranwachsenden Menschen
bitte nicht nur nach dem Prinzip, dass er “jemand zu sein
hat” in einer seienden Welt und in einem soliden Dasein,
sondern bilden wir ihn so, dass es ihm gelingt, sein
eigenes Grossrisiko, das er unweigerlich verkörpert, direkt
in Lebensintensität umzusetzen.
Die traditionelle Erziehung will aus dem “Mängelwesen
Mensch” (Arnold Gehlen) einen soliden Menschen ma-
chen. Dadurch entstehen Missverständnisse, Kämpfe, Ver-
weigerungen und Sabotageakte.
Die Flow-Kommunikation hingegen baut auf die ressour-
cive Sicht des Risikos: Mangelhaftigkeit und Irrtümer sind
die Voraussetzung für grosse Menschlichkeit. Die
Unvollkommenheit ist die Basis für seine wahre Grösse.
Die Ultra-Anfälligkeit ist nämlich der Grund, warum uns
Tragödien und Dramen, warum uns unendliche Sehnsüch-
te und Glückserfüllung so tief berühren und mit unseren
grössten Anliegen verbunden sind.
Wenn beispielsweise das Ich vergisst, dass es das exi-
stentiale Risiko seiner Existenz ist und glaubt, es sei
seiend und sich verhält als wäre es unsterblich, wird es
zum unerträglichen Ego. Es fixiert seinen “Montagepunkt”
